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Ernährung

Nüchterntraining: warum Training ohne Frühstück sinnvoll sein kann

Ausdauersportler nutzen verschiedene Trainingsmethoden, um ihre Ziele zu erreichen. Eine davon ist das Nüchterntraining. Dabei wird trainiert, ohne vorher eine Mahlzeit eingenommen zu haben. Am häufigsten finden diese Einheiten morgens direkt nach dem Aufstehen und vor dem Frühstück statt. In diesem Artikel schauen wir uns an, warum Nüchterntraining (fasted training) interessant sein kann und welche Varianten es gibt, um es in der Praxis umzusetzen.

Artikel erschienen in TrimaX-magazine Januar–Februar 2023
Von J.B Wiroth, Doktor der Sportwissenschaften und Gründer des Trainer-Netzwerks WTS (www.wts.fr)

 

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Was sagt die Physiologie?

Am frühen Morgen – nach einer Nacht Schlaf und ohne Mahlzeit – zeigt sich:

  • Ein Blutzuckerspiegel, der niedriger ist als normal
  • Ein erhöhter Cortisolspiegel (Stresshormon)
  • Reduzierte Glykogenspeicher in der Leber
  • Ein leerer Magen

Dieser physiologische Zustand ist besonders günstig, um den Energie­stoffwechsel zu beeinflussen. Mit regelmässigem Nüchterntraining gewöhnt sich der Körper daran, Energie aus den nahezu unbegrenzten Fettreserven zu ziehen.

Der Vorteil: Die Glykogenspeicher werden geschont. Einheit für Einheit lernt der Körper also, sparsamer damit umzugehen.

Bereits 2011 zeigten Studien der Arbeitsgruppe um Professor Peter Hespel von der Universität Leuven (Belgien), dass nach 6 Wochen Nüchterntraining (3 Einheiten à 1–2 h pro Woche bei 75 % der VO2max):

  • Das Muskelglykogen besser erhalten bleibt
  • Die oxidative Kapazität des Muskels verbessert wird – unter anderem durch enzymatische Anpassungen
  • Die Fettverbrennung positiv beeinflusst wird, vor allem durch eine effizientere Nutzung intramuskulärer Triglyzeride

2021 zeigten Tovar et al. von der Universität Kalifornien, dass 4 Wochen Training nach dem 16/8-Schema (16 h nüchtern, 8 h Essensfenster) bei 27 gut trainierten männlichen Läufern den Körperfettanteil reduzierten – ohne die Muskelmasse zu beeinträchtigen.

Die Hauptvorteile dieser Methode sind also:

  • Verbesserung der Ausdauer, indem sich der Körper daran gewöhnt, Energie aus den Fettreserven zu ziehen
  • Den Körper lernen lassen, den Blutzuckerspiegel auch bei Kohlenhydratmangel und Belastung zu stabilisieren
  • Förderung der Gewichtsabnahme durch verstärkten Verbrauch von Körperfett

Die Gefahren …

Die Methode des Nüchterntrainings ist jedoch nicht ohne Risiken. Direkt spürbar ist das deutlich höhere Risiko einer Hypoglykämie (Unterzuckerung), wenn man auf das Frühstück verzichtet. Deshalb ist es sinnvoll, für den Notfall eine schnell verfügbare Zuckerquelle (z. B. Gel) dabeizuhaben. Nach der Einheit ist zudem ein ausgeprägter Leistungseinbruch im Verlauf des Vormittags wahrscheinlich.

Langfristig hat ein Übermass an Nüchterntraining negative Auswirkungen auf die Zelle:

  • Essentielle Fettsäuren, Bausteine der Zellmembranen, werden verstärkt oxidiert
  • Der Aminosäurepool wird angegriffen, vor allem auf muskulärer Ebene, was zur Entstehung zahlreicher Stickstoff-Abbauprodukte (Harnstoff, Ammoniak, Ketonkörper …) führt

Was du vermeiden solltest:

  • Lange Ausfahrten machen (mehr als 1h30 direkt bei der ersten Einheit)
  • Intensives Training (über 80 % der HFmax)
  • Zu viele Nüchtern-Einheiten pro Woche (mehr als 2)
  • Nach der Einheit weiter nüchtern bleiben

Die klassische Methode

Protokoll:

  • Direkt nach dem Aufstehen ein grosses Glas Wasser trinken
  • Sich auf 20 Minuten Belastung beschränken
  • Die Intensität sehr langsam steigern, ohne 80 % der HFmax zu überschreiten
  • Ein Gel bereithalten für den Fall einer plötzlichen Unterzuckerung
  • Nach der Einheit ein grosses Glas Wasser trinken
  • Ein regeneratives Frühstück direkt nach der Einheit einnehmen

Die Steigerung erfolgt hauptsächlich über die Verlängerung der Einheiten (jedoch nicht über 2 h) und durch technische Übungen (einbeiniges Pedalieren, Trittfrequenzvariationen etc.), während die Intensität niedrig bis moderat bleibt (< 80 % HFmax).

Nach mehreren Monaten regelmässigen Nüchterntrainings können kurze intensive Phasen eingebaut werden. Viele Spitzensportler trainieren auf diese Weise – allen voran die afrikanischen Läufer.

Das Ziel dieser Methode ist es, den Körper daran zu gewöhnen, Lipolyse und Gluconeogenese zur Energieproduktion zu nutzen.

Die Varianten

Variante 1: „Low“ schlafen und dann nüchtern trainieren

Wenn man am Abend trainiert und beim Abendessen nur wenige Kohlenhydrate zuführt, startet man die nüchterne Einheit am nächsten Morgen mit sehr niedrigen Glykogenspeichern in Leber und Muskeln. Das anschliessende Training findet also in einem Zustand deutlich reduzierter Leberglykogenspeicher statt – stärker als beim klassischen Nüchterntraining.

Variante 2: Nüchtern starten und in der zweiten Hälfte zuführen

Bei Nüchtern-Einheiten von mehr als einer Stunde kann es sinnvoll sein, die Einheit gegen Ende mit Kohlenhydraten (z. B. Sportgetränk) zu beenden. So lassen sich die negativen Effekte des Nüchterntrainings begrenzen, während gleichzeitig eine relevante Intensität möglich bleibt. Zudem trainiert man damit den Verdauungstrakt, Kohlenhydrate unter speziellen Bedingungen aufzunehmen.

Variante 3: Zweimal pro Tag trainieren

Wenn man zweimal täglich trainiert, dient die erste Einheit dazu, die Glykogenspeicher zu reduzieren. Danach wird gegessen – allerdings ohne Kohlenhydrate. Die zweite Einheit findet dann mit sehr geringen Reserven in Muskeln und Leber statt. Mehrere Studien haben gezeigt, dass dieses Vorgehen den Fettstoffwechsel in den Mitochondrien verbessern kann.

Variante 4: „Low“ erholen

Normalerweise ist es entscheidend, nach einer langen und/oder intensiven Einheit einen Erholungs-Snack mit Kohlenhydraten und Proteinen zuzuführen. So werden die Glykogenspeicher optimal wieder aufgefüllt und die Regeneration beschleunigt. Bei der Variante „Low“ verzichtet man für 1–2 h nach der Einheit bewusst auf Kohlenhydrate. Dadurch wird die Regeneration verlangsamt, aber bestimmte physiologische Anpassungen auf Genebene können verstärkt werden.

Das „Post-Nüchterntraining“-Menü

Dem Läufer stehen nach einer Nüchtern-Einheit zwei Möglichkeiten offen:

  1. Wenn das Ziel eine Reduktion von Fett- und Muskelmasse ist, reicht eine leichte Zwischenmahlzeit: Recovery-Drink und ein kleines Sandwich.
    Komplett nüchtern zu bleiben in den Stunden danach ist allerdings nicht empfehlenswert…
  2. Wenn das Ziel ein schnelles Beenden des durch die Einheit ausgelösten Katabolismus ist, sollte ein vollständiges Frühstück folgen:
  • Fruchtsaft oder frisches Obst
  • Cerealien oder Brot (nach Belieben)
  • 20 g Butter + Honig/Marmelade
  • 10 Trockenfrüchte (Haselnüsse, Mandeln, Walnüsse)
  • 2 Scheiben Schinken oder 2 Spiegeleier
  • Heissgetränk

Ergänzend sollte auf eine ausreichende Versorgung mit essentiellen Omega-3-Fettsäuren und verzweigtkettigen Aminosäuren (Leucin, Isoleucin, Valin) geachtet werden.

Fazit

Mit über 280 Studien zum Thema gilt Nüchterntraining als gut untersucht. Dennoch bleiben offene Fragen: Wie genau lassen sich Training und Ernährung optimal kombinieren, um die Leistung eines Sportlers bestmöglich zu steigern?

Referenzen

  • Beneficial metabolic adaptations due to endurance exercise training in the fasted state.
    Van Proeyen K. et al. J Appl Physiol. 2011 Jan;110(1):236-45.
  • Four Weeks of 16/8 Time Restrictive Feeding in Endurance Trained Male Runners Decreases Fat Mass, without Affecting Exercise Performance
    Tovar AP et al., Nutrients. 2021 Aug. 13(9), 2941.
  • Periodized Nutrition for Athletes
    Jeukendrup AE. Sports Med 2017 Mar 47:51-63