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Gesundheit

Wie Sportler*innen die Signale ihres Körpers interpretieren

Trainieren unter Schmerzen gehört für zahlreiche Sportler*innen dazu. Wie können und sollen Sporttreibende Schmerzen erkennen und einschätzen?

Schmerzen im Sport

Ausdauersportler*innen kennen ihn, den Schmerz, wenn bei einem Intervalltraining der Puls im Maximalbereich rast und das Laktat den ganzen Körper flutet. Oder wenn im Kraftraum der letzte Klimmzug oder die letzte Kniebeuge nur mit verzerrtem Gesicht und aufgerissenem Mund zu schaffen ist. Das Gefühl schreit «Aufhören», der Verstand sagt «Weitermachen», denn Leiden im Sport ist gewinnbringend und der Form zuträglich. Ambitionierte Athlet*innen brauchen Durchhaltevermögen, um erfolgreich zu sein.

In einem Sportler*innen-Leben gibt es aber auch den Schmerz, der nichts mit dem inneren Schweinehund zu tun hat, sondern uns als Warnzeichen sagt, dass etwas nicht stimmt. «Schmerz ist wichtig und etwas ganz Normales», sagt Michael Wawroschek, Arzt und medizinischer Leiter von med-athletics in Zürich. «Nur dadurch haben wir überhaupt die Chance, unseren Körper wahrzunehmen und besser kennenzulernen.» Entscheidend dafür sei, dass Sportler*innen den Schmerz nicht einfach ignorieren, sondern sich konkret mit ihm auseinandersetze und Fragen stelle: «Wo genau befindet sich der Schmerz? Verändert er sich? Wird er stärker, nimmt er ab?»

Schmerz als Warnzeichen

Damit der menschliche Körper einen Reiz einordnen kann, erkennen spezialisierte Rezeptoren schmerzhafte Signale und leiten die Information weiter zum Rückenmark, wo sie verarbeitet und ins Gehirn gesendet werden. Die Schmerzrezeptoren sind im ganzen Körper verteilt. Dabei handelt es sich um Neuronen mit Ausläufern, freien Nervenendigungen, die sie in das jeweilige Gewebe, etwa die Haut, ausstrecken und dort mechanische, thermische oder chemische Signale aus der Umgebung aufnehmen.

Bei Schutzreflexen wie dem Zurückziehen der Hand bei einer heissen Herdplatte reagiert der Körper automatisch und ohne bewusstes Einordnen des Schmerzes. Erst im Gehirn angelangt wird der Schmerz bewusst wahrgenommen, bewertet und für Lernprozesse verarbeitet. Wie stark ein Schmerz wahrgenommen wird, ist enorm individuell. Manche reagieren (zu) panisch, andere macht er zögerlich, dritte verdrängen ihn. Und andere motiviert er oder macht er gar euphorisch. Bei ambitionierten Sportler*innen ist die Schmerztoleranz meist höher als bei unsportlichen Personen. Und gleichzeitig gilt: Schmerzen sind ein Warnzeichen dafür, dass etwas nicht im Gleichgewicht ist. Ohne Schmerzen würden wir unseren Körper dauernd überlasten.

Im Alltag sagt uns die Vernunft, wie wir mit Schmerzen umgehen sollen. Wir wissen, wie wir sie einordnen und lindern können, wenn wir einen Sonnenbrand haben, das Knie anschlagen, den Fuss übertreten. Schwieriger wird es, wenn zu einem Schmerzgefühl Existenzängste dazukommen, wie beispielsweise nach einem Herzinfarkt oder einer schlimmen Krankheits-Diagnose. Bei kleinen Kindern ist eine «Schmerz-Vernunft» noch nicht vorhanden, überspitzt gesagt verspüren sie bei jeder Art von Schmerz Angst, gleich zu sterben.

Sport als Schmerzkiller

Sportarzt Wawroschek findet, dass Menschen im Umgang mit Sport und Schmerz allgemein zu ängstlich reagieren. «Viele vermeiden Sport, sobald etwas schmerzt. Das ist aber häufig ein Fehler, denn die meisten Menschen haben Schmerzen vom Nicht-Bewegen. Es ist daher eher umgekehrt: Sport und Bewegung können Beschwerden häufig beseitigen.»

Sport ist also auch ein Schmerzkiller. Dennoch ist der Umgang mit Schmerz im Sport nicht ganz einfach. Manche Sportler*innen suchen ihn, buchen beispielsweise regelmässig eine harte und schmerzhafte Massage, weil sie wissen, dass es ihnen danach besser geht. Diese Art von Schmerz kann also durchaus sinnvoll sein. Gleiches gilt beim Muskelaufbau: Ohne Schmerzen passiert da wenig, denn erst eine Belastung, die gefühlsmässig schmerzt, führt dazu, dass der Muskel wächst. «Diesen Schmerz darf und sollte man bewusst erleiden», sagt Michael Wawroschek, «da muss man einfach durch».

Stopp bei scharfem Schmerz

Doch wie wissen Sportler*innen, wie viel Schmerz sein darf und wann es gefährlich wird? Michael Wawroschek unterscheidet drei Arten von Schmerzlokalitäten: «Muskelschmerz, Sehnenschmerz und Gelenkschmerz.» Bei der Interpretation von Muskelschmerzen lägen meist alle falsch: Patient*in, Arzt*Ärztin, Trainer*in. «Muskelschmerzen werden in ihrem Ausmass oft unterschätzt und falsch diagnostiziert.» Deshalb gelte: «Alle Sportler*innen sollten Muskelschmerzen ernst nehmen und sie abklären lassen.» Ausser es handle sich um harmlosen Muskelkater. Besonders gefährlich sei jeder scharfe Schmerz. Wawroschek: «Ein Muskelfaserriss fühlt sich wie ein Messerstich an, in diesem Fall muss man sofort mit dem Sport aufhören.» Meistens macht das der Körper automatisch, in einem Wettkampf aber kann es auch sein, dass dieser Reflex vom Adrenalin zugeschüttet ist und ausbleibt.

Ein gutes Zeichen ist es, wenn sich ein Schmerz zum Guten hin verändert. Oft haben Sportler*innen Anlaufschwierigkeiten. Werden die Beschwerden im Laufe des Trainings geringer, kann man getrost weitermachen. Umgekehrt aber gilt: Kommt ein Schmerz während des Sports zurück oder wird er immer stärker, sollte die Belastung gestoppt werden.

Achtung vor Medikamenten

Viele Beschwerden im Ausdauersport sind typische Überlastungsbeschwerden. Solche Entzündungsschmerzen schaden – wenn sie lokal auftreten wie etwa bei einem Läufer-Knie oder einer Knochenhautentzündung – dem Körper nicht generell. Und grundsätzlich ist jede Heilung mit einer Entzündung verbunden. Die Schwierigkeit bei Entzündungen besteht darin, das passende Mass zwischen Belastung und Entlastung zu finden. Hilfreich ist es, temporär auf andere Sportarten umzusteigen, um die entzündliche Stelle nicht weiter zu reizen. Wenn der Schmerz dennoch immer grösser wird, sollte man zum Arzt. Wenn der Schmerz nach einem sportlichen Training am nächsten Tag wieder weg ist, dann kann man dosiert auch weiter trainieren.

Ob und wann eine Entzündung mit Medikamenten behandelt werden muss, sollte nur in Absprache mit einem Arzt und mit einem Plan entschieden werden. Beim Sporttreiben sollten Medikamente aber allgemein möglichst wenig eingesetzt werden. «Mit Schmerzen in einen Wettkampf zu gehen, ist nie eine gute Idee», findet Michael Wawroschek. Wer langfristig nur noch mit Schmerzmitteln trainieren könne, riskiere Schädigungen in Magen und Darm. Zudem gehe das Körpergefühl verloren.

Eine Ausnahme gibt es: Bei arthrotischen Schmerzen in Gelenken ist Bewegung schmerzlindernder und förderlicher als Ruhigstellung und Schonung. Da kann der Griff zur Schmerzpille angezeigt sein, damit eine Bewegung überhaupt wieder möglich wird. Auch wenn Sportler*innen Schmerzen subjektiv am liebsten verhindern möchten, werden alle irgendwann damit konfrontiert. Oder wie Michael Wawroschek sagt: «Schmerzen gehören zum Leben, und sie bekämpfen zu können, ist ein schönes Gefühl.»

Wann soll man aufhören?

Für die korrekte Einschätzung des Schmerzes ist ein gutes Körpergefühl unabdingbar, vor allem unter Wettkampfeinfluss. So gehen Sie vor:

  • Differenzieren: Ist der Schmerz eher dumpf oder stechend? Wenn er sich wie ein Messerstich anfühlt, muss die Belastung sofort unterbrochen werden.
  • Einordnen: Eine gängige Vorgehensweise zur Einordnung von Schmerzen ist, diese auf einer Skala von 1 bis 10 einzuschätzen. Bei einem Wert über 5 sollte mit dem Sport aufgehört werden.
  • Beobachten: Tritt ein Schmerz am Anfang einer Aktivität auf und geht dann wieder weg, ist das ein positives Zeichen. Wird er aber immer stärker, sollte der Sport abgebrochen werden. Ebenso, wenn die schmerzende Stelle anschwillt, dann ist mechanisch etwas verletzt und ebenfalls eine Pause zwingend.

Text von FITforLIFE– dieser Blogbeitrag wurde uns vom Schweizer Magazin FIT for LIFE zur Verfügung gestellt. Willst du regelmässig informative Wissensartikel im Bereich Lauf- und Ausdauersport lesen, dann klicke hier.

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