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Radfahren

Die optimale Trittfrequenz

Wer schneller tritt, gewinnt. Und doch gibt es Athleten, die mit tiefer Kadenz Weltmeister werden. Warum die Wissenschaft und nicht das Gefühl Recht hat.

Dr. Umberto Emanuele und Jachen Denoth von der ETH Zürich haben 2011 zwei Arbeiten veröffentlicht, die die Rolle der Trittfrequenz bei Ausdauerleistungen untersuchen. Die Forscher fanden heraus, dass relativ gut trainierte Straßenradsportler im Lizenzsport im Flachen mit 88 U/min optimal unterwegs sind (für maximale aerobe Dauerleistungen an der anaeroben Schwelle). Ferner konnten die Autoren erstmals einen wissenschaftlichen Beweis dafür präsentieren, dass für dieselben Athleten am Berg (bei sieben Prozent Steigung) eine um neun Umdrehungen niedrigere Trittfrequenz (79 U/min) optimal ist, um dort die Schwellenleistung zu erbringen. Das passt sehr gut zu der Beobachtung, die jeder Radsportler schon gemacht hat: Am Berg tritt man grundsätzlich langsamer als in der Ebene.

Optimal Cadence

Als Ursache dafür machen die Forscher die pulsierende Fahrgeschwindigkeit aus. An richtig steilen Rampen kann das jeder selbst beobachten: aus dem mehr oder weniger gleichmäßigen Rollen wird – übertrieben – ein Rollen-Stehen-Rollen-Stehen des Rades, das mit jedem Hub des Beins beschleunigt und dazwischen durch den Hangabtrieb fast bis zum Stand abgebremst wird. Zu schnelles Treten aber senkt den Wirkungsgrad, weil der Anteil an Arbeit größer wird, den der Körper allein für die Koordination der Tretbewegung aufbringen muss. Für den Bergtritt bedeutet das, dass die Geschwindigkeitsspitzen innerhalb einer Umdrehung nicht zu groß werden dürfen. Im Mittel sinkt daher die Frequenz gegenüber der Fahrt in der Ebene.

Erkenntnis der Forscher: Über- oder unterschreitet man die optimale Trittfrequenz um 40 Prozent, fällt die Leistung um rund 15 Prozent. Und: optimale Trittfrequenz und absolute Leistung korrespondieren auch: Pro 100 Watt mehr Leistung ermittelten die Zürcher Forscher einen Anstieg der optimalen Trittfrequenz um 11 U/min, andere Autoren kommen auf 8-13 U/min pro 100 Watt.

Puls niedriger bei langsamem Tritt

In der Praxis beobachten viele Radsportler, dass sie bei niedrigen Trittfrequenzen besser atmen können. Dieser Eindruck wird durch einige Studien untermauert, die relativ niedrige Drehzahlen von 60 U/min als besonders ökonomisch im Hinblick auf den Sauerstoffbedarf darstellen. Dies kann man leicht nachvollziehen, wenn man mit einem Powermeter trainiert. Tritt ein trainierter Radsportler unterhalb seiner Dauerleistungsgrenze deutlich langsamer als normal – zum Beispiel mit zeitlupenhaften 50 U/min – sinkt die Pulsfrequenz. Die Muskelbelastung allerdings steigt dabei erheblich an, und durch den größeren Kraftaufwand ermüden die Muskeln schneller (Leistung ist das Produkt aus Kurbel-Geschwindigkeit/Drehzahl und Kraft).

Es ist daher ein Unterschied, ob man ein kurzes Zeitfahren mit (zu) großen Gängen fährt oder einen epischen Bergmarathon. Bei langen Anstiegen oder Etappenrennen ist es ratsam, allzu schwere Gänge zu meiden, auch wenn dabei kurzfristig die Atmung ruhiger ist. Denn zur stärkeren Ermüdung der Muskulatur kommt noch ein weiterer Punkt: Tritt man besonders langsam und kraftvoll, werden verstärkt die Schnellkraftfasern der Muskeln angesprochen, die bevorzugt Kohlenhydrate als Brennstoff verwenden. Kohlenhydrate sind aber streng limitiert im Unterschied zu den Fetten, die auf langen Strecken die Haupt-Energiequelle sind. Ein zügiger Tritt schont deshalb die kostbaren Reserven und spart wertvollen „Super-Sprit“ fürs Finale eines Rennens. Oder eben den letzten Berg.

Der Tritt, das zeigen die Praxisbeispiele erfolgreicher Radprofis, hat aber auch individuelle Komponenten. Muskelzusammensetzung, Kraft, Ermüdungs- und Trainingszustand wirken sich auf die Trittfrequenz aus. Mit der Zeit prägt sich ein individuelles Trittmuster aus, das man aber beeinflussen kann: Eine Studie zeigt, dass nach einigen Wochen gezieltem Krafttraining die Durchschnittsfrequenz fällt. Aber vor allem wer schneller tritt als gewohnt spürt, dass das nicht rund läuft. Die Muskelkoordination setzt der Leistung Grenzen. Man muss im Training gezielt den Wohlfühlbereich verlassen, um die Koordination bei hohen Frequenzen zu verbessern.

Die Mobilisierung der Muskeln ist ein langwieriger Prozess, der Monate benötigt, sagt Profi-Trainer Benoit Nave, der einige Weltklasse-Radsportler betreut. Das Frequenz-Training ist unbeliebt, weil es sich wenig effizient anfühlt, zu schnell zu treten, aber es ist essenziell, um ein besserer Radfahrer zu werden. Dies gilt besonders für Anfänger, die keine Erfahrungen mit hohen Frequenzen haben. Nebenbei verweist es sehr schön auf den Wert von Intuition und Erfahrung im Radsport: Nicht umsonst steht für jugendliche Radsportler seit Generationen das Erlernen hoher Trittfrequenzen im Vordergrund, die Übersetzungsbeschränkungen bei Jugendrennen dienen auch diesem Zweck.

Andererseits: Auch zu wenig Kraft limitiert die Leistung. Wer wegen mangelnder Kraft unökonomisch schnell treten muss, um eine geforderte Leistung zu erbringen, fährt mit schlechtem Wirkungsgrad. Zudem gibt es, besonders im Gebirge und abseits des Asphalts, Situationen, in denen selbst die kleinste Übersetzung nicht ausreicht und man gezwungen ist, mit mehr Kraft zu fahren. Ein guter Radsportler trainiert daher beides: höhere und niedrigere Frequenzen als normal schaffen das Fundament für ein breites Drehzahlband. Die für niedrige Frequenzen nötige Kraft kann man auch ohne Rad mit klassischem Maximalkrafttraining stärken.

Einfacher Selbsttest

Ob die selbst gewählte Trittfrequenz für den momentanen Trainingszustand ideal ist, kann mittels Selbsttest erprobt werden. Dies ist insbesondere für Zeitfahrer spannend, die sich Gänge und Tempo selber einteilen können aber auch um zu verstehen mit welchem Gang ein Berg am schnellsten zu erklettern ist. Als „Messtechnik“ reicht eine Stoppuhr. Ideal für die Analyse des Tritts aber ist ein Powermeter. Damit lässt sich der Zusammenhang von Trittfrequenz und Leistung schon während der Fahrt beobachten und im Anschluss auswerten.

2PEAK erfasst bei der automatischen Detektion von Intervallen automatisch die zugehörigen Trittfrequenzen und stellt diese dar.

Interview mit Dr. Umberto Emanuele, swissbiomechanics.ch

Wählen Radfahrer intuitiv die richtige Trittfrequenz?

Unsere Untersuchungen zeigen, dass gut trainierte Radfahrer mehrheitlich eine gute Intuition haben und eine Trittfrequenz nahe der optimalen Trittfrequenz wählen. Anfänger zeigen eine breitere Streuung, wobei sowohl zu langsames als auch zu schnelles Treten vorkommt.

Was raten sie Anfängern, wie schnell sollten sie treten?

Das kommt auf die Situation an. Im Wettkampf sollte sich ein Anfänger nicht an den hohen Drehzahlen der Profis orientieren, weil seine absolute Leistung viel geringer ist und die optimale Trittfrequenz für niedrige Leistungen geringer ist als für hohe. Im Training macht es aber Sinn, auch höhere Trittfrequenzen als die optimalen zu trainieren.

Welchen Einfluss hat die Ermüdung auf die Trittfrequenz?

Je müder ein Fahrer ist, desto niedriger ist seine optimale Trittfrequenz weil die benötigte Zeit zur Aktivierung der Muskulatur zunimmt.

Welche Rolle spielt die Streckenlänge für die optimale Trittfrequenz?

Mit zunehmender Streckenlänge nimmt die Leistung und damit auch die optimale Trittfrequenz ab.

Text von FITforLIFE– dieser Blogbeitrag wurde uns vom Schweizer Magazin FIT for LIFE zur Verfügung gestellt. Willst du regelmässig informative Wissensartikel im Bereich Lauf- und Ausdauersport lesen, dann klicke hier.

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